Munster in alten Ansichten
 
 

Quellen



12/1945  01/1948  09/1948 09/1948 11/1948 11/1954 05/1955


Munster T-Lager (1945)

Munster 9.12.45
2. Advent

Liebe Toni! Deinen Brief vom 24.11. mit Freuden erhalten und sage Dir dafür meinen besten Dank. Es ist immer beruhigend für mich aus Deinem Brief zu lesen, daß es Dir gut geht und Du satt wirst. Auch mir geht es gut und ich werde satt. Ein Päckchen schicke mir bitte nicht. Ich habe genug zu essen. Ich würde Dir gern von meinem noch etwas schicken. Ich weiß nur nicht, ob es ankommt und wann und wie es ankommt. Also behalte nur Dein weniges. Ich weiß, es war gut gemeint. Ist denn dein neuer Hut und meine Bücher auch geklaut? Wie seht es in der Wohnung aus, ist da schon was repariert? Wie ich Dir ja schon mitteilte werden wir vor Frühjahr 1946 von hier nicht entlassen. Ich muss also alle Feiertage hier im Lager hinter Stacheldraht verbringen. Was für mich sehr schwer und bitter ist. An ein Weihnachten in Gefangenschaft habe ich nie geglaubt. Mit der Zeit wird man stur und seelisch zermürbt. Ich bin in letzter Zeit [...]

aus: privater Brief aus Munster T Lager nach Berlin Charlottenburg

nach oben




SOZIALISTISCHE MITTEILUNGEN
News for German Socialists in England
This News Letter is published for the information of Socialdemo- crats from Germany who are opposing dictatorship of any kind
Nr.107
Januar 1948

"Munster-Lager im Schnittpunkt vieler Straßen"

Ueber die Probleme der aus der Kriegsgefangenschaft Heimkehrenden schreibt unter obiger Ueberschrift Jan Molitor interessante Beobachtungen in der in Hamburg erscheinenden "Zeit", der wir folgende Stellen entnehmen:

"Ist es Zufall? England schickt in diesem Dezembermonat 20.000 Kriegsgefangene heim, anstatt 15.000 in den Vormonaten. Wird draußen an Weihnachten gedacht? Aus Rußland werden diesmal an die 12.000 das Lager bei Munster passieren, anstatt der monatlichen Durchschnittszahl von 7.000. Nicht alle, die aus Rußland heimkehren, müssen durch Munster-Lager gehen. Viele, die in der Ostzone zu Hause sind, fahren nicht erst hierher ins Hannoversche Land weiter und in die Lüneburger Heide. Aber mit dieser Ausnahme finden alle Wege, auf denen Gefangene nach Deutschland heimkehren, ihren Schnittpunkt hier. In Munster-Lager müssen sich die Wege kreuzen. Es ist das einzige, das zentrale Entlassungslager, das in der britischen Zone noch besteht. Da kommen monatlich aus Frankreich 5.000 bis 8.000 Männer, aus Belgien 2.000 bis 3.000 und aus anderen Ländern wie Italien, Norwegen oder Luxemburg kommen monatlich noch an die 7.000. Von hier aus führen viele Wege in das zerrissene Deutschland hinein. Von jenen Gefangenen, die aus England eintreffen - wie gesagt 15.000 monatlich - verteilen sich 6.000 auf die Englische Zone, 4.000 auf die Amerikanische, 4.000 auch auf die Russische Zone und Berlin und 1.000 etwa auf die Französische Zone. Ein schönes Lager ist dies nicht. Wie könnte ein Lager schön sein? Aber die Baracken sind wenigstens sauber, nicht ungepflegt sind die Wege durch die Barackenstadt, und es sind Bäume da: Die geben Dämmerung wie aus Güte. Ja, ihr Anblick könnte sogar innere Stille geben. Aber das ist nicht wahr. Die Heimkehrer sind Wartende. Und Wartende können nicht ruhig sein. Die in der Britischen Zone bleiben, brauchen zwei bis drei Tage, ehe sie endgültig frei sind. Fünf Tage dauert's, bis Transporte in die Amerikanische und Russische Zone gehen, 14 Tage gar zur Entlassung in die Französische Zone - 'wegen eines Gegenverkehrs', wie eine Auskunft lautet. Drei Wochen vergehen, ehe die Berliner heimfahren können, und für die Wartezeit zur Reise in die Russische, Amerikanische, Französische Zone und nach Berlin lautet die Erklärung: 'Es müssen immer tausend Mann beisammen sein'.

So warten sie alle und sind unruhig, obwohl sie anerkennen, daß die Entlassungsformalitäten, die sie 'Papierkrieg' nennen, korrekt und flüssig vor sich gehen. Dennoch heißt ein Tag in diesem Lager, Erfahrungen von Jahren sammeln. Stehe ich dort, wo sich im Lager die Straßen kreuzen, so sehe ich sie einherschlendern oder heranmarschieren, sich näherschleppen oder herumspazieren, und nicht die verschiedenen Uniformen allein, sondern der Blick auf die Gesichter und auf das Gebaren verrät, daß sie verschiedene Menschen sind, je nachdem, aus welchem Lande sie kamen. Den Mann aus England unterscheidet man auf den ersten Blick von dem, der aus Rußland kommt. Es sind verschiedene Menschen geworden. Das Gesicht des fremden Landes hat ihr Antlitz geprägt. Und doch ist es nicht übertrieben zu sagen, daß die Worte 'Deutschland' und 'zu Hause' denselben Eindruck auf sie machen. In Munster-Lager kreuzen sich so nicht nur die Straßen, die auf der geographischen Karte zu bezeichnen sind, sondern zugleich die Wege der geistigen Situation. Hier hören die Kriegsgefangenen auf, Massenmenschen zu sein, die Formation entläßt sie; von hier ab werden sie Zivilisten und Menschen sein. Hier legen sie alte Lasten ab und buckeln neue auf; private Sorgen. Und hier stellen sie neue Fragen: Wie kann uns geholfen werden? Wer hilft?

Es ist verständlich, daß die Heimkehrer, wenn sie der Weg zum Lagerpfarrer oder zu den Männern der YMCA-Organisation führt, nicht mehr in 'Reih und Glied' erscheinen. Aus der Masse tritt der Mensch hervor, zeigt sein Antlitz. Doch haben sich, wie der Lagerpfarrer sagt, Typen gebildet. - Da ist der Mann aus England. Gepflegt, verwöhnt, gesund und ordentlich gekleidet. Er hat sich als Facharbeiter auf der Insel bewährt und hat das Bewußtsein, daß auch in England der Deutsche wieder etwas gilt. Er kommt mit gefülltem Seesack. Er ist äußerlich und innerlich satt. Er hat Pläne. - Da ist der Mann aus Aegypten und dem Nahen Osten, ein Mann, der ähnliche Züge trägt, gesund und braungebrannt. Doch was ihn plagt, ist oft eine gewisse Renitenz gegen die Siegermächte. Er hat unter bitteren Verhältnissen oft schwer arbeiten müssen. Da ist der Mann aus Belgien. Er hat im Bergwerk gearbeitet, ist muskulös und bescheiden. Er hat von allen Kriegsgefangenen im Lande des einstigen Gegners seit Jahresfrist wohl die meiste Sympathie erfahren und eine Anerkennung, die ihn in der Wertschätzung noch am ehesten der Bevölkerung gleichsetzte. - Da ist der Mann aus Frankreich. Er kommt nicht ohne Verbitterung und oft in abgerissenem Zustand, was seine Kleider betrifft. Aber er ist gerecht genug zu sagen, daß sich in den meisten französischen Lagern die Verhältnisse gebessert haben, wenn auch regionsweise immer noch der Haß gegen den Mann aus Deutschland spürbar ist. - Und da ist der Mann aus Rußland, wie er im Zimmer des Pfarrers steht. Er ist im Wesen und Ansehen russisch geworden. 'Ein ausgepreßter Schwamm', sagt der Pastor, 'ausgelaugt und ausgebrannt, jedem Einbruch einer Dämonie preisgegeben, zerlumpt, krank an Leib und Seele. Einer, der entschlußlos und mechanisch auf Befehle handelt wie eine Maschine. Er ist verschüchtert oder mißtrauisch. Er hat sich seelisch abgekapselt und ist scheu bis manchmal in ihm und seinen Kameraden die Moral eines Wolfsrudels erwacht, das sich mit ungehemmter Gier auf alles Nützliche stürzt. Einige sind verschwiegen, andere geschwätzig wie Kinder. Doch forscht man tiefer, so findet man, daß sie angefüllt sind mit Fragen. Sie haben Angst. Manchmal sogar Angst vor der Freiheit, die sie doch mit allen Fasern ihres Herzens ersehnten.'

Es ist wahr: Die Rußlandheimkehrer reden wenig, aber plötzlich bricht es aus ihnen heraus, und dann sagen sie, daß oft nicht die Wachmannschaft ihre Peiniger waren, sondern jene Deutschen unter ihnen, die sich zu Funktionären aufgeschwungen hatten. Sie sagen, daß es Unterschiede in Rußland gibt, und viele loben das Gebiet von Leningrad, in dem man energische Maßnahmen getroffen habe, daß die Kriegsgefangenen nicht mehr unkontrollierbar an Entbehrungen stürben. Fast alle aber sagen, Haß hätten sie in Rußland von der Zivilbevölkerung nur in seltensten Fällen erfahren. Und sie berichten von ärmlichen Tauschgeschäften, die sie mit russischen Einwohnern machten und von den Versuchen, wie ein Teil den anderen über Wasser hielt. Doch obwohl sie nicht nur Elend, sondern dann und wann auch Güte erlebten, sind ihre Erinnerungen niemals schön, am wenigsten an die Kirgisensteppe, wo allein schon die Natur grausam genug zu sein scheint, und am allerwenigsten an das winterliche Sibirien, wo spätestens im November der Frost einsetzt: Dies bedeutet, daß man fortan bis zum Frühling mit dem vorhandenen Vorrat an Lebensmitteln auskommen muß ... Die Portionen werden knapper, je länger der Winter dauert, die Korruptionen größer, an denen leider wieder die deutschen Funktionäre beteiligt sind ...

Ich fand zuletzt, daß in Munster-Lager nicht nur die Psychologie wie ein Appell sprach, sondern sogar die Statistik. Ein Beispiel: Zwei Drittel der Englandheimkehrer haben feste Wohnsitze, ein Drittel ist heimatlos. Flüchtlinge aus dem Osten. Wo sollen sie hin? Wo sollen sie bleiben, wenn niemand hilft?"

nach oben




WOCHENÜBERSICHT vom 26. August bis 1. September 1948 Das Entlassungslager in Munsterlager soll nach Münster in Westfalen und nach Friedland bei Göttingen verlegt werden. Das Munsterlager soll wieder Truppenübungsplatz werden. DIE ZEIT, 02.09.1948 Nr. 36

nach oben




Die Feldmarschälle

Am 16. Juli dieses Jahres, kurz nachdem der letzte deutsche Kriegsgefangene England verlassen hatte, trafen die Feldmarschälle Rund» stedt, Brauchitsch und Manstein sowie Generaloberst Strauß nach dreijähriger englischer Gefangenschaft wieder in Deutschland ein. Alle vier hatten in den englischen Lagern verhältnismäßig viel Freiheit genossen und im übrigen^ die letzten Monate in einem Lazarett bei Diss in Norfolk verbracht, weil keiner von ihnen laut ärztlichem Befund mehr lagerfähig war. Manstein ist in« zwischen nahezu erblindet und der 73jährig« Rundstedt konnte sich zeitweise mir mit Hill« von zwei Stöcken fortbewegen. Kein Wunder, daß man allgemein der Meinung war, die Überführung der Feldmarschälle nach Munsterlager bedeute den ersten Schritt zu ihrer Freilassung. Waren sie doch in Nürnberg, wo zur Zeit der letzte Generalsprozeß vor dem Abschluß steht, nicht angeklagt worden. Daß diese Annahme jedoch unzutreffend ist, geht aus verschiedenen Veröffentlichungen def englischen Presse hervor. Zunächst erfuhr man am 21. August durch einen Brief des englischen Militärwissenschaftlers Liddell Hart an den Herausgeber des Manchester Guardian, daß die Feldmarschälle unter durchaus unwürdigen Umständen *— die inzwischen dank dieser Intervention behoben sind — in Munsterlager weiter auf unbestimmte Zeit in Haft gehalten werden. Am 27. August erfolgte dann auf zahlreiche Anfragen hin eine Erklärung des englischen Kriegsministeriums, in der es heißt, daß Vorbereitungen getroffen würden, um die Generale zunächst in Munsterlager aus der Kriegsgefangenschaft zu entlassen und sie sodann als Kriegsverbrecher vor ein — vermutlich in Hamburg tagendes Kriegsgericht zu stellen. Um welche Verbrechen es sich dabei handeln soll, ist weder, den Generalen noch der Öffentlichkeit mitgeteilt worden. Drei Jahre nach Abschluß des Krieges stellt «Ich also plötzlich heraus, daß diese General«! die einstmals die höchsten militärischen Stellen bekleidet haben — Brauchitsch war vom Einmarsch in Österreich bis zum russischen Winterfeldzug 1941 Oberbefehlshaber des Heeres, die also keineswegs den prüfenden Augen der Richter und Rächer entgangen sein können, Kriegsverbrechen begangen haben sollen. Bisher galt als ein fundamentaler Grundsatz des Recht», daß jeder Mensch, der seiner Freiheit beraubt wird, binnen kürzester Frist den Grund seiner Haft erfährt und die Möglichkeit zu seiner Verteidigung erhält. Wie oft haben wir während der Nazizeit erwartungsvoll der Stimme der Freiheit, die über den BBC zu uns drang, gelauscht und immer wieder verhieß sie uns Freiheit und Recht. Damals waren wir überzeugt, es sei eine besser« Freiheit und ein höheres Recht als jenes von Adolf Hitler unter Trommelwirbel und Racheschwüren verkündete. Wie, wenn sich jetzt herausstellte, daß diese Überzeugung auf einem Irrtum beruhte? Es gibt heute nur eine Gefahr, die nicht allein Deutschland, sondern ganz Europa droht: das ist der Nihilismus, die Desillusionierung des Menschen, für den es schließlich überhaupt keine verbindlichen Werte und Ideale mehr gibt und der nurmehr ein Glaubensbekenntnis kennt: Macht und Gewalt. Gewiß, das Schicksal dieser vier Generale wird die geistige Entwicklung unserer Welt nicht entscheiden, aber bei dem Stand der Dinge kommt es auf jede einzelne Entscheidung an, weil «s von, der Summe aller Entscheidungen abhängt, ob die Hoffnung auf eme neue gerechte Ordnung siegen kann, oder ob die Menschheit in Resignation und Barbarei versinken wird. Hier, und das sei ausdrücklich festgestellt, handelt es sich nicht' um eine nationale Angelegenheit, sondern um da» Recht. Es mag genug Deutsche geben, die sich noch deutlich der kläglichen Rolle erinnern, die zwei dieser Generale am 20, Juli 1944 gespielt haben, und es gibt jedenfalls genug Engländer, die mit Empörung und Abscheu die Maßnahmen ihrer Regierung den deutschen Generalen gegenüber kritisieren. Woraus hervorgeht, daß es sich weder um ein deutsches noch ein englisches Anliegen handelt. Eine Flut von offenen Briefen ist durch die englische Presse gegangen. Viele bekannte und bedeutende Persönlichkeiten! Bertrand Russell, J. B. Priestley, Stokes, Victor Gollancz, Prof. Gilbert Murray, Lord De l'Isle and Dudley sprechen mit brennender Sorge und heftigen Vorwürfen von dem Verrat an allem, was englisch« Tradition und englische Rechtsauffassung ist. Freilich läßt sich hin und wieder auch eine andere Stimme hören, unter ihnen an erster Stelle —'. wie sollte es auch anders sein, denn sie repräsentieren offenbar den Chor der nationalen Rachegötter — Lord Vansittaxt, dem sich übrigens in schöner Einmütigkeit der „Tagesspiegel" acugesellt. Lord Vansittart spricht von einem „organisierten Mitleid", das die Deutschen all letzte Waffe erfunden hätten, und von kostspieligen Illusionen und Täuschungen. Vielleicht bedurfte es dieser Grabesstimme aus einer haßerfüllten, kleinbürgerlich-nationalistischen Welt von gestern, um jene guten Kräfte in England auf den Plan" zu rufen, die sich ihrer Verantwortung für die Welt von heute und morgen wohlbewußt sind, und die am besten in der Antwort F. W. Deedes zum Ausdruck kommt, wenn er schreibt: „Lord Vansittart spricht von kostspieligen Täuschungen. Die kostspieligste Täuschung ist es, Rache mit Gerechtigkeit zu verwechseln. Jene Täuschung legte die Saat zum Zweiten Weltkrieg; sie darf uns nicht auch noch um die eine wesentliche Unterscheidung bringen, die zwischen der westlichen Zivilisation und der übrigen Welt besteht: die Achtung vor der menschlichen Person."

Marion Gräfin Dönhoff DIE ZEIT, 16.09.1948 Nr. 38, S.2

nach oben




1948: Kommen alle zurück? Fragwürdige Heimkehr Von Kurt Döring Im Januar des dritten Nachkriegsjahres hatten die vier Außenminister der Alliierten einander und der Welt das Versprechen gegeben, bis zum Dezember des gleichen Jahres sollten alle deutschen Kriegsgefangenen heimgeschickt sein. Molotow lüftete zum erstenmal den Schleier, den die Sowjetunion über die Millionen vermißter Deutscher in Rußland gehängt hatte, und nannte die noch heute anzweifelbare Zahl von nur 800 000. Von diesem staatsmännischen Wort getröstet, wurden ,die Forderungen nach Gerechtigkeit eine Zeitlang gedämpft, und Hunderttausende wartender Mütter und Frauen fügten sich darein: Sie wollten auch noch dieses Jahr auf die Heimkehr ihrer Söhne warten . . . Viereinhalb Millionen deutscher Kriegsgefangener sind seit Mai 1945 aus der Gefangenschaft entlassen und heimgführt worden, gab der Generaladjutant Brigardier A.J.H. Dove bei der Eröffnung des Entlassungslagers Münster in Westfalen bekannt. Eine Dreiviertelmillion von ihnen befand sich in britischem Gewahrsam in England, Kanada, Frankreich und Belgien. England hat Wort gehalten: Es hat bis auf die drei Generale von Rundstedt, von Manstein und Strauß seine Kriegsgefangenen bis Mitte Juni entlassen. Frankreich wird, wie in Münster der Delegierte der französischen Regierung bekanntgab, bis zum 20. Dezember 1948 die jetzt noch in französischen Lagern lebenden Deutschen heimgeführt haben. Ein Rest von 600 werde bleiben; dieser Rest habe Strafen für Kriegsverbrechen und andere Vergehen abzubüßen. Man hat im übrigen die Zahl von 3000 Inhaftierten in Frankreich genannt. Darunter waren jene Kriegsgefangenen, die als Zeugen in Kriegsverbrecherprozessen vor französischen Gerichten auftreten mußten und die ebenfalls bis Weihnachten in Deutschland sein werden. Aus Jugoslawien treffen jetzt an jedem zweiten Tag Heimkehrertransporte in Münster ein und werden im Laufe eines einzigen Tages in ihre Heimatbezirke weitergeleitet. Wie der britische Lagerkommandant mitteilt, ist damit zu rechnen, daß auch Jugoslawien seinen Repatriierungsplan einhalten wird. Danach soll der letzte Transport am 10. Januar 1949 in Münster eintreffen. Aus Frankreich, Belgien und England werden in den kommenden Monaten auch jene in ein Zivilarbeitsverhältnis übergeführten Kriegsgefangenen heimkehren, die ihr Arbeitsverhältnis nicht mehr fortzusetzen wünschen. Aus England werden in den nächsten Wochen 1200 zurückerwartet. Werden alle deutschen Kriegsgefangenen, wie versprochen, noch in diesem Jahr heimkehren? Der englische Kommandant von Münster, Major Kelcey, konnte auf diese Frage keine Antwort geben, denn die Transporte aus dem Osten, vor allem aus Rußland, sind keineswegs in solcher Folge eingetroffen, daß selbst die genannten 800 000 rechtzeitig in der Heimat sein werden. Vor vier Wochen meldete die Ostzonenpresse, daß durch das Lager Gronenfelde bei Frankfurt (Oder) der 500 000. Heimkehrer aus Rußland durchgeschleust worden sei. Zum gleichen Zeitpunkt hatten aber nur 112 000 die Entlassungslager der britischen Zone, Munsterlager und Münster, durchlaufen. Selbst dann, wenn man nicht in Betracht zieht, daß wahrscheinlich der größte Teil von Ostheimkehrern die britische Zone aufgesucht hat, wäre die halbe Million der bereits aus Rußland Heimgekehrten anzweifelbar. Und wenn man den Zahlen der Ostzonenzeitungen Glauben schenkte, so müßten die fehlenden 300 000 in den allernächsten Tagen eintreffen: In diesem Monat sind aber nur 3000 Rußlandheimkehrer aus dem Lager Münster gemeldet. . . Nach den derzeitigen Transportfolgen muß damit gerechnet werden, daß noch bis ins Frühjahr hinein aus Rußland Heimkehrer eintreffen werden. Aber auch dann wird noch über Hunderttausenden tiefes Schweigen liegen.

aus: DIE ZEIT, 25.11.1948 Nr. 48, S.3.

nach oben




"GASKRIEG" um Munsterlager Nord (1954)

Soltaus Bauern sind verzweifelt: Zähneknirschend sehen sie zu, wie ihre Arbeit und ihr Fleiß durch Panzerspuren zunichte gemacht werden. Seit Kriegsende bereits dienen ihre Äcker als britisches Übungsgelände, aber der Übungsplatz Munsterlager-Nord (Raubkammer), unmittelbar neben den zerstörten Feldern, steht leer. Dort herrscht paradiesische Ruhe.

Dies alles verdanken die Bauern der "Gaslegende". Auf Raubkammer lag bis 1945 die deutsche Giftgasmunition, aber sie wurde zerstört und hat, das stellten Sachverständige fest, längst ihre Wirkung verloren. Dennoch lehnten die Engländer Raubkammer als Übungsplatz ab. Sie meiden das 11 000 ha große Gelände und üben statt dessen auf Soltauer Äckern und Feldern. Erfolg: 4 Millionen DM Ernte- und Forst-, 900 000 DM Straßenschäden, die aus Besatzungskosten, d.h. vom deutschen Steuerzahler, bezahlt werden. Und die Bauern fragen: "Wozu das Feld bestellen, wenn es doch von Panzerketten zermahlen wird?"

In Soltau glaubt man, die Schuld an diesem "Wahnsinn" trage nicht die Besatzungsmacht, sondern die deutschen Behörden. Sie alleine tragen die Schuld, daß die Schilder "Vorsicht, Giftgas!" immer noch bleiben. Nur die Forstarbeiter sind scheinbar gegen dieses Giftgas immun: Raubkammer wird aufgeforstet, wiederum, wie die Heidjer erbittert feststellen mit unseren Steuergeldern.

In den Dorfkrügen fragt man also: Warum wird Raubkammer aufgeforstet, obwohl es wahrscheinlich schon bald wieder von deutschen Soldaten als Übungsplatz benutzt werden soll? Warum gibt man uns nicht, wie beantragt, die Raubkammer als Ackerland und macht aus unseren Äckern endgültig Übungsgelände?

In Soltau spricht man es offen aus: Irgendetwas stimmt nicht in der Raubkammer. Will die Forstbehörde den Platz für das Amt Blank verteidigen? Oder will man vielleicht mit Steuergeldern eine "Idylle" verteidigen?

aus: Das Neue Blatt , Nr. 44 - 5. Jahrg., 2.November 1954, Seite 2. (Titelbild: Vera Molnar)

nach oben



Schlamm drüber! (1955)

Während britische Panzer im Raum Soltau Autostraßen und bestellte Felder zuschanden fahren, liegt unberührt in nächster Nachbarschaft der Truppenübungsplatz Munster-Nord. "Er ist kampfstoffverseucht" - das zweifelhafte Argument lieferte eine deutsche Forstbehörde.

Der Schaden, den britische Manövertruppen in der Lüneburger Heide anrichten, geht in die Millionen. Wechselndes Frost- und Tauwetter macht im Verein mit mahlenden Panzerketten in diesem Jahr die Situation zur Katastrophe. Am 24. März verlante der Bundestag einstimmig, daß künftig der Truppenübungsplatz Munster-Nord bentut werde. Bisher mieden die Engländer dieses Gebiet, weil es zu gefährlich sei für ihre Truppen. 1945 lagerten dort Kampfstoffe, zum Beispiel Lost. Einmal wurden bei Waldarbeiterinnen Bläschen auf der Haut, verbunden mit Juckreiz, festgestellt. Die Försterei Raubkammer vermeldete das als "Kampfstoffverletzung". Obwohl der Ausschlag auch von Planzenschutzmitteln herrühren kann, treibt bis heute die Gefahr eventuellen Juckreizes die Panzer auf die weniger riskanten Felder der Landwirte.

aus: Der Stern, Heft 15, 8. Jahrgang, 10. April 1955, Hamburg 1955, S. 10 f. (Titelbild: Marilyn Monroe)

nach oben




(c)2008 Karjo Brauer