Munster in alten Ansichten
 
 

Quellen


Schutztruppe 1904
Schutztruppe 1905
Pastor Thiede 1913


Beim 2. Feldregiment in Munsterlager (1904)

Zum 29. Mai 1904 ward ich zum Truppenübungsplatz unseres 10. Korps, nach Munsterlager, kommandiert, um zwei Bataillonen des neugebildeten 2. Feldregimentes der Schutztruppe vor ihrer Ausfahrt nach Südwestafrika noch einen erbetenen Gottesdienst und eine Abendmahlsfeier zu halten.
Wie lebhaft musste dieser Befehl an die eigenen Mobilmachung vor vier Jahren und die damalige Kriegsfahrt nach China erinnern, obwohl der jetzige Auszug offenbar in weit größere Gefahren führte! Jedenfalls konnte ich mit den Kriegern empfinden, wie ihnen ums Herz war.
Munsterlager kannte ich seit Jahren. Als unser Transportdampfer Batavia im September 1901 mit 2000 Ostasiaten nach unvergesslich ernster Fahrt die heimische Küste erreicht hatte, musste unser ganzer Transport auf etwa 6 lange Wochen nach diesem Übungsplatze in Quarantäne. Der Typhus hatte sich allen Vorsichtsmaßnahmen zum Trotz mit uns an Bord geschlichen und auf dem engbelegten Schiffe nur gar zu schnell zu einer immer drohenderen Gefahr gesteigert. Manchem Kameraden hatten wir unterwegs ins nasse Seemannsgrab versenken, andere schwerkrank in den Hafenstädten von Singapore bis Port Said ausschiffen müssen, und erst nach sieben todesernsten Wochen legten wir damals mit sehr hoher Krankenziffer in Bremerhaven an. Gar anders, als wir beim ersten Flattern unseres Heimatswimpels träumten, hatte sich Heimfahrt und Ankunft in der Heimat gestaltet. Eine wochenlange, absperrende Unterbringung auf dem Übungsplatze Munster war die notwendige Folge. Immerhin grüßten die saftgrünen Wiesen und die stillen Fichtenwälder der schönen Lüneburger Heide noch mit sonniger Schönheit, und mit ausgedursteten Augen sahen wir nach langer, weiter Kriegsfahrt wieder den ersten, grünen, deutschen Wald. Nur die Sehnsucht nach Hause wuchs ungeduldiger von Woche zu Woche.
Zu dieser Heimfahrt von China kehrten die Gedanken während der Bahnfahrt von der Garnison Braunschweig nach Munsterlager stets wieder zurück, zu jenen Wochen des Dienstes unter Lebenden und Sterbenden auf unserem "Totenschiffe" und zu den gemeinsam überstandenen Wochen der Einpferchung hernach. Jener erste Gottesdienst stand gleichfalls wieder klar vor dem Gedächtnis, den wir damals vor drittehalb Jahren auf dem weiten, grünen Waldanger gefeiert hatten. Auch andere hatten ihn nicht vergessen, wie ich mehrfach erfuhr. Viertausend Ostasiaten standen dort vereint, die beiden Transporte "Batavia" und "Neckar", beim Feldgottesdienste nur - aus Vorsicht - durch eine breite Lagergasse getrennt. Plötzlich klangen mitten in unsere Feier die Glocken des nahen Kirchdorfes Munster herüber. "Kameraden, das sind die ersten Kirchenglocken der Heimat!" - mit diesem Zurufe hatte die Predigt innegehalten und jeder von uns diesen langentbehrten Klängen eine Weile still gelauscht und dabei mehr als bloßen Klang gehört. Dann war der Gottesdienst fortgesetzt worden: "Hört, die Glocken rufen zum Herrn, wie unser heutiges Bibelwort." Was musste alles an jenem Tage der kurze Schriftvers den viertausend heimgekehrten Kriegern sagen: Gehe hin in dein Haus und zu den Deinen und verkündige ihnen, wie große Wohltat dir der Herr getan und sich deiner erbarmt hat. (Marc. 5, 19).!
In dies wohlbekannte Munsterlager nun abermals in großer Stunde zu heiligem Dienst!
Überall das kriegerische Bild, das eilige Treiben der letzten Mobilmachungstage! In den Lagerstraßen herzbewegliche Gruppen: Angehörige und Freunde, die ihren Schutztrupplern noch einmal ins Auge sehen wollten.
Eins der beiden hier zusammengestellten Bataillone war schon neu eingekleidet; die grauen Cord-Uniformen und die gelben Reiterstiefel muteten afrikanisch an. Das andere Bataillon trat zum Gottesdienste noch in den Uniformen der verschiedensten Regimenter an, denen die Leute entstammten - ein überaus buntscheckiges Bild.
Ein Abschiedsgottesdienst für eine zum Kampf ausrückende Truppe ist eine große, aber keine schwere Aufgabe. Denn in Stunden, in denen der Herrgott selber vernehmlich zu reden anhebt, sind Herzen und Gewissen offen. Alle evangelischen Offiziere und Mannschaften begehrten das heilige Mahl.
Doch ein Missverhältnis emfpfand ich an diesem Tage immer drückender. Im Juni 1900 hatte ich in Döberitz dem ersten Bataillon des 1. Ostasiatischen Inf.-Rgts. Den gleichen Dienst tun dürfen, aber damals als schon mobiler Feldprediger, der zu dieser Truppe gehörte. Diese innerste Zusammengehörigkeit fehlte jetzt. Wenn Klaus Groth schreibt:

Von Flot un Wellen
Is dat am besten
In'n Drögen vertellen -
so darf sich mit diesem halb schalkhaften, halb spöttischen Worte kein Soldatenpfarrer zufrieden geben. Wer die Herzen zu schwerer Meer- und Kriegsfahrt stärken soll, entzieht seinen eignen Worten das Mark, falls er selber in sicherem Frieden daheim zurückbleibt.
Schon vor langen Wochen hatte ich mich für die Schutztruppe zur Verfügung gestellt, doch den Bescheid erhalten, dass die Aussendung von Feldgeistlichen noch nicht vorgesehen sei.
Nun fanden sich in Munsterlager unter den Ausziehenden alte Ostasiaten in erstaunlich hoher Zahl, Offiziere wie Unteroffiziere, die einen immer wieder und in unverkennbarem Ernst mit der Frage begrüßten, ob sie denn diesmal kein Feldgeistlicher begleite. Auch der Regimentskommandeur fragte mich am Abend dieses Tages, ob ich zum Mitgehen bereit sei; er wolle auch seinerseits einen evangelischen und einen katholischen Feldprediger telegraphisch beantragen.
So wurde dieser Tag in Munsterlager für mich entscheidend. Es galt, das Gewissen still und klar vor Gottes Angesicht zu prüfen. Der Drang in die Ferne und der tatenfrohe Ehrgeiz, dem mancher junge Offizier folgt, durfte bei dem Feldprediger nicht die treibende Kraft sein. Über die Schwere des südwestafrikanischen Aufstandkrieges konnte man sich gleichfalls nicht hinwegtäuschen. Aber das Gebot des Gewissens sprach vernehmlich genug: Der Mann und der Christ gehören dahin, wo sie am allernötigsten sind. Bei welcher Truppe, in welcher Garnison konnte unser Dienst denn nötiger sein, als in den Gefahren und Kämpfen der Schutztruppe?
Alsbald ging die erneute Meldung nach Berlin. Der Gedanke an die Lieben in der Heimat, der manchesmal das Blut heißer zum Herzen trieb, durfte die Klarheit der erkannten Pflicht nicht trüben. Andere mochten sich ebenso für Südwestafrika gemeldet haben; die Vorgesetzten konnten entscheiden. Mein Gebet in dieser Zeit konnte nur sein: Des Herrn Wille möge geschehen.

aus: Max Schmidt, Aus unserem Kriegsleben in Südwestafrika. Erlebnisse und Erfahrungen, Groß Lichterfelde-Berlin, 1907, S.1-4.

nach oben



Im Lager zu Munster (1905)

[...] Dann geht es nach dem Munsterlager, dem Truppenübungsplatz mitten im Herzen der hannoverschen Heide, zwischen Uelzen und Soltau, umgeben von herrlichen Buchen- und Eichenwaldungen, wechselnd mit bunten, von leise murmelnden Bächen durchflossenen Wiesentälern und ernsten Kiefernwäldern, ein wenig bekanntes, besonders schönes Stück deutschen Landes. Munster ist Bahnstation und vom Bahnhof aus erreicht man zu Fuß auf angenehmem Wege das Lager bequem in zwanzig Minuten. Eine Legitimationskarte, die bereitwilligst auf mehrere Tage oder ganze Wochen erteilt wird und dem Inhaber das Lager und den Uebungsplatz erschließt, bekommt man in der Kommandantur, durch die wehende Kriegsflagge weithin erkennbar, ohne weiteres ausgestellt. Hat man im Lager selbst keine bekannten Führer, so kann man doch sicher sein, überall freundliche Auskunft zu erhalten.
Seit Mitte Mai herrscht hier im Lager ein eigenartiges, reges Leben und Treiben. Hier werden die Kompagnien des neu errichteten Feldregiments für Südwestafrika, zusammengesetzt aus Freiwilligen fast aller deutschen Regimenter und wieder eingetretenen Reservisten, zu einem festen Ganzen zusammengeschweißt, ehe sie hinausziehen zum Kampfe für Deutschlands Macht und Ehre im fernen Afrika.
[...] Wenn ich sagen sollte, was mich in Munster am meisten interessierte, die Menschen, die Pferde oder die Hunde, es würde mir schwer werden. Der letzteren wegen war ich ja eigentlich hingereist, um die präsumtiven Kriegshunde sichten zu helfen, die gerade an dem Tage zufolge eines im "Hann. Courier" zur Stiftung von Kriegshunden erschienenen Aufrufes noch fortwährend eintrafen, fast alle ohne vorherigen Anmeldung.
[...]Die Hoffnung, daß die Liebesgaben - Hunde - beim Kampfe im dunkeln Erdteil gute Dienste leisten würden, hat sich denn auch abgesehen von jenen aussichtslosen Fällen, wo notorisch unbrauchbares Material mitgenommen wurde, bewährt. - Unter hohen Fuhren, zwischen den Leutnantsbaracken, waren die zukünftigen Kriegshunde im Munsterlager einstweilen untergebracht, einfach einzeln an die Bäume gebunden; es war die reine improvisierte Hundeausstellung, ein buntes Gemisch von Vertretern verschiedener Rassen, zum Teil hochedle Rassehunde, mache allerdings auch Fixe undefinierbarer Abstammung. Es fanden sich merkwürdigerweise auch vier Jagdhunde, kurzhaarige Vorstehhunde. Ich riet, sie zurückzuschicken, weil Jagdhunde für wirkliche Kriegshundzwecke ganz ungeeignet sind. [...]

Vom Munsterlager nach Swakopmund

Endlich, viel zu lange für die in Ungeduld Wartenden ist die so notwendige Zeit der Vorbereitung, des Einarbeitens von Reiter und Pferd, nach drei Wochen vorüber. Am Morgen wird noch geritten, zum letzten Male auf heimatlichem Boden, der Tag vergeht mit Packen und am Abend geht es, nachdem Pferde und Gepäck schon vorher verladen, unter Vortritt der Kapellen der gleichzeitig im Lager übenden hannoverschen Infanterieregimenter und begleitet von allen Offizieren unter Fackelschein zum Bahnhof, von wo um 12 Uhr nachts unter dem Hurra der zurückbleibenden Kameraden die Abfahrt nach Hamburg erfolgt. Bei Sonnenaufgang ist die alte Hansastadt erreicht und es wird zu Fuß zum Hafen marschiert. [...]

aus: Wilhelm Köhler, Meine Kriegs-Erlebnisse in Deutsch-Süd-West-Afrika. Von einem Offizier der Schutztruppe , Minden 1907, S. 9-23.

nach oben




Am Truppenübungsplatze.
Ein Bericht von Pastor Thiede, Munster, aus dem Jahre 1913

Dem Freunde der Heide wird es auch lieb sein zu beobachten, welchen Einfluß die Einrichtung eines Truppenübungsplatzes und die Zusammenziehung von oft vielen Tausenden von Soldaten auf den Ort Munster und seine Bewohner sowie seine nächste Umgebung in wirtschaftlicher und geistiger Beziehung ausübt, insbesondere, wie sich der Heidmärker mit großen Veränderungen abfindet, wie er sich ihnen anpaßt, und welche Wandlungen das Hineingestelltsein in den großen Verkehr bei ihm hervorruft.
Das Kirchdorf Munster liegt mitten im Herzen der Heide, der sog. Heidmark, zwischen Soltau und Ülzen, dem Luhetal und Hermannsburg. Das Land ist hier flach gewellt, der Boden leichter Sand, bedeckt mit Heidekraut und ziemlich viel Forst, das Klima ist etwas rauh, die Bevölerung sehr spärlich. Zur Parochie Munster, die einen Durchmesser von etwa 20 km hat, gehören 14 Dörfer und einstellige Gehöfte. Diese hatten 1892 zusammen noch nicht 1200 Einwohner. Davon entfielen 470 auf Munster. Der Verkehr war sehr mäßig. Auf der Station Munster der Langwedel-ülzer Bahn hielten täglich nur drei Personenzüge auf der Fahrt nach jeder Richtung. Gepflasterte Landstraßen gab es im ganzen Parochialbezirk nicht mehr als in einer Länge von 2 km. Munster war ein echtes Heidedorf. Das ist es jetzt nicht mehr. Es hat vornehmlich im Sommer sein ganz besonderes Gepräge, das ihm aufgedrückt wird durch das nahe Truppenlager.
Im Jahre 1892 kaufte die Militärverwaltung für den billigen Preis von rund 1.200.000 Mk. einen südwestlich von Munster belegenen, zu verschiedenen Gemeinden der Kirchspiele Munster, Soltau und Wietzendorf gehörenenden Bestand von Heide, Kiefernforst, Moor und etwas Acker, in Größe von 19.220 Morgen = 48 qkm, um darauf einen Truppenübungsplatz einzurichten. Das Gelände eignete sich hierzu nicht nur wegen seiner Bodenverhältnisse, sondern auch deshalb, weil nicht ein einziges Wohnhaus oder eine Scheune, sondern nur ein Schafstall und einige Bienenstände darauf standen, und weil der Grund und Boden billig war, wurde doch der Morgen Heide mit 30 Mk. bezahlt, während er jetzt allgemein mindestens 60 Mk. kostet.
Das Lager für die Truppen wurde 1 km von Munster an der Soltauer Landstraße errichtet, doch ist diese dahin inzwischen schon stark bebaut worden, und außerdem haben viele Handel- und Gewerbetreibende sich rings um das Lager her angebaut. Dieses nimmt einen Raum von mehr als 100 ha ein. Die sich rechtwinkelig kreuzenden Straßen sind sämtlich gepflastert. Das Ganze ist mit einer 2 m hohen Einfriedung aus Drahtgeflecht umgeben. Das Lager enthält jetzt 37 Wellblechbaracken, 51 Massivbaracken, 19 Holz-, 23 Stallbaracken und 16 Stallzelte, es bietet darin Platz für etwa 7100 Mann und mehr als 2000 Pferde. Außerdem sind 11 Küchen nebst Kantinen, ein großes Offizierskasino, ein Wachtlokal nebst Arrestzellen, zwei Proviantscheunen, verschiedene Geräte- und Scheibenschuppen, Geschoß- und Pulvermagazine, eine Dampfwaschanstalt, vier Lazarettgebäude nebst Küche, eine Wasserleitung mit Turm, Maschinenhäuser, Milchhallen, Kegelbahnen und neuerdings ein Soldatenheim vorhanden.
Im Laufe eines Jahres kommen fast sämtliche Truppen des X. Armeekorps, oft auch anderer Armeekorps, im ganzen etwa 36 000 Mann und 7000 Pferde für eine Zeit von drei bis vier Wochen nach Munster, so dass fast immer des Anziehenden genug zu sehen wäre, wenn es nicht im allgemeinen verboten wäre, den Platz zu betreten. Gleichwohl zieht jedes besondere militärische Schauspiel, als größere Übungen, Paraden, Wettrennen, Fesselballons, Flieger u. a., oft viele Zuschauder aus der weiteren Umgebung herbei. Kommt aber gar der Kaiser zu einer Übung von 10 oder auch 16 Regimentern Kavallerie nebst reitender Artillerie, so bedeutet das für Munster einen vaterländischen Festtag ersten Ranges. Dann sind nicht nur der Bahnhof und die übrigen staatlichen Gebäude mit Fahnen und Dranzgewinden geschmückt, sondern auch der ganze Ort. Ungezählte herrliche Ehrenpforten überwölben die 2 km lange Straße vom Bahnhof durch den Ort zum Lager, und eine nach vielen Tausenden zählende Menschenmenge harrt des geliebten Monarchen. Nicht nur aus Munster und nächster Umgebung, sondern auch von weit her sind sie mit der Bahn oder im Auto, zu Wagen, zu Rad oder zu Fuß gekommen, um ihren Kaiser mit heller Begeisterung zu begrüßen und nach Möglichkeit auch etwas von dem eindrucksvollen militärischen Schauspiel zu erhaschen. Nachmittags wogt die Menge im Orte und im Lager in festfroher stimmung umher, und am Abend füllt sich die Straße vor dem Offizierskasino mit einer dichtgedrängten Menge, die der Musik all der Regimentskapellen lauschen und an dem Zapfenstreich teilnehmen möchte. Doch auch sonst kommen so viele nach Munster, die einen Geschäfte halber, die andern, um Verwandte im Lager zu besuchen, Schulen werden hergeführt, um den Platz zu besichtigen, auch Offiziere fremder Völker stellen sich ein, um von den Deutschen zu lernen, und so ist es kein Wunder, daß der Verkehr in Munster in den Sommermonaten ein für ein Heidedorf außerordentlich großer ist. Davon mögen folgende Angaben einen Überblick geben, wobei nicht zu übersehen ist, daß die Zeit von Anfang September bis Mitte April meist sehr still ist.
Auf dem Postamte in Munster - früher eine kleine Postagentur -, waren im Jahre 1913 1.170.000 Briefe, Postkarten und Drucksachen zu befördern, ferner 8450 Telegramme und 68.000 Pakete. Der Betrag der ein- und ausgezahlten Geldsendungen belief sich auf 2.340.000 Mk., wozu noch viele Wertbriefe und -pakete sowie Nachnahmesendungen kommen. Das Fernsprechnetz hat in Munster 50 Anschlüsse.
Auf dem Bahnhofe der Staatsbahn in Munster werden durchschnittlich im Winter 6, im Sommer 16 Wagen täglich entladen und 4 und 10 beladen. Außerdem kommen täglich im Durchschnitt 8 t zu 200 Ztr. Stückgut an und 2 t gehen ab. Die Zahl der Frachtbriefe beträgt jährlich 18.000 bzw. 8000. Rund 50.000 Fahrkarten ergeben jährlich eine Einnahme von ca. 72.000 Mk. Doch werden dei Regimenter, soweit sie mit der Bahn kommen, mit jährlich etwa 100 Extrazügen befördert. Der Eingang von Großvieh beträgt jährlich 3980 Stück, der an Kleinvieh 1700 Stück. Das Schlachtvieh wird meist in der Umgebung von Munster gekauft Die steuerfähige Reineinnahme der Station Munster beträgt jährlich etwa 300.000 Mk.

Durch diesen Aufschwung im Verkehr sind denn auch mancherlei Veränderungen im Orte und seiner Umgebung hervorgerufen worden. Vor der Errichtung des Truppenlagers betrug die Einkommensteuer etwa 500 Mk., jetzt 7787 Mk., die Betriebs- und Gewerbesteuer vorher 225, jetzt 2226 Mk., die Ausgaben der Gemeindekasse vorher 828 Mk. jährlich, jetzt 14.760 Mk. außer den Schullasten. In die Gemeindekasse fließt übrigens außer der Gemeindesteuer, der Hundesteuer und Lustbarkeitssteuer auch die Biersteuer. Diese beträgt bei einem Konsum von ca. 6150 hl rund 4000 Mk. 1892 wurden bei dem Gemeindevorsteher 10 zuziehende Fremde angemeldet, jetzt jährlich 500 bis 600. Die Einwohnerzahl des Ortes beträgt jetzt 1300 vorher 470. Die Zahl der Wohhäuser ist von 71 im Jahre 1892 auf 171 im Jahre 1912 gestiegen, und viele alte Häuser sind durch neue ersetzt. Die Dorfstraßen haben gutes Pflaster und an Winterabenden Beleuchtung erhalten. Die Landstraßen nach verschiedenen Richtungen sind gepflastert worden. Eine Kleinbahn verbindet jetzt Munster mit Beckedorf-Celle und wird voraussichtlich auch nach Amelinghausen-Lüneburg fortgeführt werden. Die Zahl der Schulkinder hat sich verdoppelt, so daß die Anstellung eines vierten Lehrers und die Einrichtung einer fünften Klasse für die 240 Kinder notwendig wird. Außerdem besteht seit etwa 10 Jahren im Orte eine höhere Privatschule mit dem Ziet der Untertertia. Am auffallendsten ist die Vermehrung der Gastwirtschaften. Statt früher vier stehen jetzt 20 Wirtschaften, Hotels und Cafés bereit, Gäste aufzunehmen. Doch hat sich auch die Zahl der Kaufleute und Gewerbetreibenden ergeblich vermehrt, so daß man in Munster die mannigfachsten Lebensbedürfnisse sich beschaffen kann.

Freilich ist nun auch das Leben bedeutend teurer geworden. Wohnungen, Lebensmittel, Arbeitslöhne, Fuhrkosten usw. sind nicht billiger als in größeren Städten. Bauplätze werden mit 5000 bis 7000 Mk. für den Morgen bezahlt. Arbeiter, besonders Arbeiterinnen, da diese in Scharen im Lager das Kartoffelschälen besorgen oder als Wäscherinnen gutes Geld verdienen, sich oft auf Wochen und Monate überhaupt nicht zu haben. Munster steht eben im Sommer wirtschaftlich ganz unter dem Einflusse des nahen Truppenlagers mit seinen mannigfachen Bedürfnissen, ähnlich wie ein Kurort unter dem der Saison. Wenn im Frühjahr die Truppen kommen, dann beginnt fast überall eine intensivere Tätigkeit, denn neuer Verdienst lockt, ja für manchen gilt es, in wenigen Monaten für das ganze Jahr zu sorgen, denn sobald im Herbst die letzten Truppen abziehen, wird es wieder still im Orte, fast so still wie in früheren Zeiten.
Doch nicht nur wirtschaftlich übt das Truppenlager auf den Ort seinen Einfluß, sondern auch in geistiger Beziehung. Bedenkt man, daß, abgesehen von dem Forstfiskus, den beteiligten Gemeinden und Privatpersonen im Jahre 1893 für den Ankauf der Grundstücke rund 950.000 Mk. ausgezahlt worden sind, daß durch die Errichtung des Lagers Handwerkern und Fuhrleuten, Wirten und Kaufleuten, Männern und Frauen allerlei Gelegenheit zu Arbeit und Verdienst geschaffen, daß für den Absatz aller ländlichen Erzeugnisse immerfort die beste Möglichkeit vorhanden ist - werden doch z. B. von der Futter ausgabestelle im Lager jährlich viele tausend Zentner Heu und Stroh und von den Lieferanten viel Vieh, Kartoffeln, Milch usw. an Ort und Stelle angekauft -, kurz bedenkt man, daß Jahr für Jahr an Gehältern, Löhnung, Baukosten, Fuhrkosten, Ankauf von Lebensmitteln und Sonderaufwand von den Offizieren und Mannschaften im ganzen mindestens 700.000 MK. allein von Militär wegen in Munster verausgabt werden, muß man da nicht annehmen, daß ein recht materialistischer Zug mit seinen schlimmen Blüten, als Gewinnsucht und Spekulation, Neid und Mißgunst usw. sich der Einwohnerschaft bemächtigt?
Und wenn statt der tiefen Stille der einsamen Heidelandschaft das Schmettern der Trompeten, das Rasseln der Trommeln, der Gesang der aus- und einrückenden Mannschaften, das Knattern der Gewehre und Maschinengewehre, das Rollen der Fuhrwerke, das Donnern der Kanonen fast täglich an die Nähe vieler tausend Menschen gemahnt und der alten Ruhe und Beschaulichkeit gründlich ein Ende macht, - wenn 20 Wirtschaften aller Art in einem kleinen Orte, zum Teil mit Musikkapellen, wenn Theater, Kinematographen mit ihren oft zweifelhaften Kunstdarbietungen und des öfteren auch Karussells und Tanzgelelgenheiten in buntem Wechsel beständig zur Belustigung einladen, wenn die alte Einwohnerschasft des Ortes vermischt wird mit Fremden aus den verschiedensten Gegenden, die zumteil ganz andere Lebensanschauungen und Erfahrungen mitbringen, und täglich mit Geschäfts- und Vergnügungsreisenden von nah und fern in Berührung kommt, ist es da nicht allzu warhrscheinlich, daß der erste, biedere, feste Charakter des Heidjers sich allmählich wandelt und Einbuße erleidet?
Und doch ist das nicht in dem Maße der Fall, wie wohl zu erwarten wäre und von vielen erwartet worden ist. Allerdings hat auch die alte Einwohnerschaft schnell ihren Vorteil begriffen und sich äußerlich den neuen Verhältnissen leicht angepaßt. Das schnelle Ansteigen aller Preise, die gründliche Ausnutzung jeder Gelegenheit zu Gewinn und Verdienst, die sorgfältigere Bearbeitung des Bodens und das an der allgemein besseren Lebensführung deutlich erkennbare Anwachsen des Wohlstandes sind Zeichen davon, wie der Heidmärker, auch wenn er zuvor noch so einsam und zurückgezogen lebte, doch nicht blöde und weltfremd ist, sondern, mit einem guten Teil natürlicher Klugheit begabt, sich in ganz andere Verhältnisse zu finden vermag und auch dem großen Verkehr mit seinen Anforderungen gewachsen ist. Und daß dadurch manche schlummernden bösen Keime geweckt, auch manche Schatten in der Eigenart des Heidmärkers noch tiefer geworden un stärker hervorgetreten sind, z. B. der Mangel an Dienstwilligkeit gegen den in Verlegenheit befindlichen Nachbar, das Mißtrauen gegen andere und die Geringschätzung der "Fremden" wird nicht zu leugnen sein; ebenso daß manche traurige Entgleisungen vorgekommen sind, besonders bei jüngeren Leuten, von denen das vermehrte Angebot von Vergnügungen und die Lockungen zu erlaubtem und verbotenem Lebensgenuß immer gern angenommen wird. Auch das wird einem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen, daß hier und da die alte Schlichtheit-Gradheit und Zuverlässigkeit zu schwinden begonnen hat, so daß Vorsicht und Zurückhaltung im Handel und Verkehr oft geboten erscheint. Aber in dem allen handelt es sich doch bislang um Ausnahmen. Im ganzen tritt vielmehr auch hierorts der echt konservative Charakter der Heidebevölkerung unverkennbar hervor. Denn trotz allen starken und andersartigen Einflüssen sind nicht nur die Alten imgrunde dieselben geblieben, sondern auch die Jugend nimmt großenteils die gleiche Richtung.
Der Besuch der Wirtschaften hat wohl zugenommen, aber die eingesessenen Bevölkerung ist es zumeist nicht, die sie füllt. Jedenfalls ist die Trunksucht trotz der überreichlichen Gelegenheit nicht häufiger geworden als früher.
Am größten erschien die Gefahr der Unsittlichkeit, nicht nur für die weibliche Jugend zufolge der Nähe einer so großen Schar von jungen Männern und der mannigfachen Gelegenheit eines Verkehrs mit ihnen, sondern auch für die männliche Jugend, insbesondere auch durch die trotz aller polizeilichen Maßnahmen von Dirnen und Halbweltdamen aus den Städten immer wieder unternommenen und von manchen Elementen auch unterstützten Versuche, in den Ort und das Lager Eingang zu finden. Und gewiß wird auch vieles heimlich geschehen, "was schändlich zu sagen" ist. Aber der hiesigen Jugend wird man doch das Zeugnis geben, daß sie sich im ganzen brav hält, wenn man hört, daß die Zahl der unehelichen Geburten und deflorierten Brautpaare prozentuell nicht zugenommen hat und den Durchschnitt im Synodalbezirk nicht übersteigt.
Echt konservativ zeigt sich die alte Bevölkerung von Munster aber vor allem in religiöser Beziehung. Davon zeugt nicht nur der rege Kirchenbesuch, infolgedessen die im Jahre 1881 bedeutend erweiterte Kirche bereits wieder zu klein geowrden ist, sondern auch das Anwachsen der Abendmahlsgäste um 1/5 der früheren, sie beträgt über 2600 bei einer Seelenzahl von 1879, - und das Blühen der beiden Jünglingsvereine und des Jungfrauenvereins sowie die für wohltätige Zwecke geopferten Summen, die sich, soweit sie durch die Hände des Geistlichen gehen, auf jährlich etwa 4000 Mk. belaufen.
Diese Angaben, die sich leicht auf rühmliche Einzelerscheinungen ausdehnen ließen, mögen genügen, um darzutun, daß der Heidmärker - Ausnahmen vorbehalten - zu den Charaktermenschen gehört, die auch unter schwierigen Verhältnissen sich ihre Eigenart wahren und gegen fremde Art und Sitte oder Unsitte sich innerlich ablehnend verhalten. Diese Menschen gehen mit ihrer Zeit vorwärts, aber sie prüfen, ehe sie annehmen, und sie haben helle Augen und ein treues Herz.
Möchte es immer so bleiben!

aus: Lüneburger Heimatbuch, Band II, Bremen 1914. (Abdruck im Heimatkalender für die Lüneburger Heide 1991, hrsg. von Adolf Meyer, Celle 1990, S. 42-44).

nach oben








(c)2008 Karjo Brauer